PAN-Autor*innen in Zeiten von Covid-19 – Ein Zwischenbericht.

Alles hat sich verändert – aber wie genau?

Seit März 2020, als die Regierungen Mitteleuropas erstmals Maßnahmen gegen die Ausbreitung umsetzten, hat sich vieles verändert. Sowohl im täglichen Leben als auch für Künstlerinnen und Künstler. Mit der vorübergehenden Schließung von Buchhandlungen, den entsprechenden Reaktionen von Verlagen und Distributoren, blieb auch die Buchbranche nicht von den Auswirkungen verschont. Wir haben nun Autorinnen und Autoren von PAN zu diesem Thema befragt.

Alessandra Reß ist nicht nur die Genre-Expertin von PAN, sondern auch tief in der Phantastikszene verankert und in der Regel auf den meisten Veranstaltungen zu finden.

Katharina Seck ist Autorin bei verschiedenen Verlagen, unter anderem Drachenmond und Bastei Lübbe. Sie ist nicht nur von den Veränderungen in der Buchbranche betroffen, sondern zählt auch zu einer Covid-Risikogruppe.

Andreas Suchanek ist einer der großen Namen in der Selfpublisher-Szene. So weiß er sehr gut, wie sehr die Situation ihn selbst und die ganze Branche betroffen hat.

Alessandra Reß

Du bist unter anderem die Trend- und Genreexpertin von PAN. Nun befindet sich die Welt seit einem halben Jahr im Ausnahmezustand. Hat sich das deiner Meinung nach auf Literaturströmungen und Genreentwicklung ausgewirkt?

In der Regel kommt es ja nicht alle paar Monate zu größeren Entwicklungen. Allerdings ist die Diskussion zu utopischen Strömungen und Bewegungen, die noch Anfang des Jahres ein Hoch hatte, spürbar abgeflacht. Möglicherweise liegt es schlicht daran, dass der Trend weit genug in den Kanon eingegangen ist, um nun nicht mehr so breit diskutiert werden zu müssen. Aber vielleicht ist das auch eine in sich utopische Annahme und die Wahrheit liegt eher darin, dass die Aufbruchsstimmung durch die Pandemie und deren Auswirkungen (vorerst) gedämpft wurde. Die generellen Bestrebungen, phantastische Literatur neu zu denken, sind aber keineswegs eingeschlafen, ganz im Gegenteil!

Kunst in Zeiten der Krise will man zwar haben, man scheint aber selten dazu bereit, dafür zu zahlen. Wie hat sich deinem Empfinden nach das Bedürfnis nach Literatur und Experten im Hinblick auf Magazine und Fachartikel verändert?

Meinem Eindruck nach waren Fachartikel zur Phantastik in der Anfangszeit der Pandemie durchaus gefragt – zumindest, solange sie zum Thema gepasst haben. Überall waren da Literaturtipps zur Pandemie zu lesen, die beste Virusliteratur, die schönste Apokalypse usw. Einige Beiträge sind aber auch tiefer gegangen, haben sich beispielsweise angeschaut, welche Vorhersagen die (post-)apokalyptische Literatur zum Gemeinschaftsleben tätigt oder welche Rollenbilder sie zeichnet. Zudem waren Science-Fiction-Expert*innen gefragt, wenn es darum ging, zu diskutieren, wie die neue Situation z. B. Arbeit und Bildung beeinflusst (siehe z. B. das Digitalangebot der re:publica). Davon abgesehen: Ich weiß, viele belächeln die aktuellen Prequels zu “Die Tribute von Panem” und “Twilight / Bis(s) zum Morgengrauen” – aber der Berichterstattung über phantastische Jugendliteratur haben sie nicht geschadet. Auch wenn ich vermute, dass die unter anderen Umständen durchaus größer ausgefallen wäre. Unterm Strich: Strukturell ist die Phantastik natürlich stark durch den Rückgang an Lesungen, Konferenzen und Co. betroffen. Aber zumindest einige Themenbereiche sind durchaus nachgefragt. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass die Szene die digitalen Möglichkeiten mit virtuellen Cons, Twitch-Streams, aber auch Social-Payment-Plattformen (wie Patreon und Ko-Fi) gut für sich zu nutzen weiß.

Was meinst du, wird es in den nächsten Monaten verstärkt postapokalyptische Virus-Literatur geben oder sogar eine neue periapokalyptische Strömung?

Mit Trendvorhersagen tue ich mich sehr schwer. Aber ich erwarte nicht, dass es nun einen neuen Zombie-Virushype oder Ähnliches geben wird. Realistische Pandemieliteratur dagegen – warum nicht? Ich habe oft Diskussionen in Social Media mitbekommen, in denen die Meinung dahin ging, dass man so etwas nicht lesen wolle. Aber es gab und gibt ja einige Autor*innen, die “Lockdown-Tagebücher” geführt haben, was bei vielen Leser*innen durchaus auf Anklang stößt. Zudem wird auch die Contemporary Fantasy oder die Near Future SF auf die Dauer nicht um das Thema herumkommen. Aber dir ging es vermutlich eher um Corona-unabhängige “Virus-Literatur”. Und von der, könnte ich mir vorstellen, haben die Leute erst mal genug. Aber ich glaube, wenn sie kommt, wird es spannend, zu beobachten, wie sich ihre tropes durch die Corona-Erfahrungen verändern.

Blog der Autorin: https://fragmentansichten.com/
Foto: Studioline

Katharina Seck

In einer nicht wirklich übersichtlichen Situation haben auch Verlage mit Vorsicht reagiert. Manche würden sogar sagen, man hat sich auf Risikominimierung verlegt, was die Erscheinungstermine von Romanen angeht. Warst du auch von einer derartigen Maßnahme betroffen?

Teilweise. Mein Roman “Die letzte Dichterin” ist Ende Februar erschienen, also bevor Covid19 sich schon großflächiger bei uns ausgebreitet hatte. Der Erscheinungstermin wurde also gehalten, die Auswirkungen spürten wir eher danach. Der Verlag hatte ein paar Werbemaßnahmen für die Leipziger Buchmesse geplant (ein Bloggertreffen zum Beispiel). Ich hatte aus privaten Mitteln zudem Charakterkarten von einem Illustrator entwerfen und zu einer Auflage von 1.000 Stück drucken lassen, die ich auf der Messe verteilen und auslegen wollte. Durch die Absage der LBM konnten diese Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Auch war mein Buch als Neuerscheinung natürlich unmittelbar von der Schließung der Geschäfte im März/April betroffen. Wie sich das zahlenmäßig auf den Verkauf ausgewirkt hat, weiß ich noch nicht, aber ahne nichts Gutes. Zu guter Letzt sind natürlich auch alle Lesungen und Veranstaltungen weggefallen, bei denen ich den Roman bewerben wollte.

Eigentlich sollte man annehmen, dass in einer Lockdown-Situation der Bedarf an Büchern größer wäre als sonst. Warum kommt der Buchmarkt deiner Meinung nach trotzdem ins Stottern?

Das wird sicher mehrere Gründe haben, und da ich keine Expertin auf diesem Gebiet bin, kann ich nur mutmaßen. Ich denke, zum einen haben viele Menschen Geldsorgen gehabt, mussten von Kurzarbeitergeld leben oder haben sogar ihren Job verloren. Da achtet man natürlich auf seine Ausgaben. Außerdem werden immer noch sehr viele Bücher “im Laden” statt online gekauft, sodass da sicher die typische Laufkundschaft, die zwei-drei Bücher im Jahr kauft, wenn sie durch einen Buchladen schlendert, weggebrochen ist. Aber es gibt sicher noch mehr Faktoren, die eine Rolle spielen.

Wann denkst du, wird sich der Buchmarkt, der derzeit ohnehin schon von anderen Krisen gebeutelt war, wieder erholen? Oder wird er das überhaupt?

Ich hoffe sehr. Es gibt immer Menschen, die lesen wollen und werden. Aber ich denke, der Buchmarkt sollte die aktuelle Situation zum Anlass nehmen, einige Strukturen (zum Beispiel die Masse an Neuerscheinungen, vielleicht auch die Masse an hochbezahlten Übersetzungen) zu überdenken und sich ein Zukunftsmodell zu überlegen, das auch die Autor*innen wieder mehr ins Boot holt.

Man hätte gehofft, dass in der aktuellen Situation Solidarität und gegenseitige Rücksichtnahme vorherrschen würden. Zu Beginn der Krise sah es auch so aus, doch mit dem Verstreichen der Zeit ist offenbar der Egoismus wieder im Aufschwung begriffen. Wie gehst du mit Menschen um, die meinen, dass die Krise längst vorbei ist oder in Wahrheit nie existiert hat?

Ehrlich? Eher schlecht. Mich macht dieser wachsende Egoismus, die fehlende Rücksichtnahme auf andere – und vor allem Risikopatient’innen – und mitunter das Leugnen von Wissenschaft sehr mürbe. Mit einigen versuche ich noch, ins Gespräch zu kommen, aber wenn Menschen in meinem Umfeld da wirklich in “extreme” Richtungen abdriften, lasse ich es gut sein. Ein paar Bekanntschaften sind in den letzten Monaten tatsächlich zerbrochen, weil die betreffenden Personen wissenschaftsleugnende bis hin zu rechten Tendenzen entwickelt haben. Außerdem macht es mich persönlich wirklich traurig, dass sich niemand mehr den simpelsten Maßnahmen wie Abstand halten und die Maske vernünftig tragen nachkommt. Es wäre so einfach, einander zu schützen, aber offensichtlich hapert es an dem Willen, das auch umzusetzen.

Website der Autorin: https://katharinaseck.de/
Foto: Katharina Kerwer

Andreas Suchanek

Die aktuelle Krise durch Covid-19 und seine Auswirkungen hatte gravierende Auswirkungen auf Verlagsautoren und Erscheinungstermine von Romanen. Du bist einer der bekanntesten Selfpublisher im phantastischen Sektor. Wie hat sich die Krise bisher auf dich und andere Selfpublisher ausgewirkt?

Gerade als Selfpublisher ist man daran gewöhnt, sich Herausforderungen direkt zu stellen und für das eigene Buchbaby leidenschaftlich zu kämpfen. Die Krise hat das noch verstärkt, die Sichtbarkeit der Bücher wurde durch die Schließung der Buchhandlungen vollständig auf Onlineshops reduziert. Das war für die gesamte Branche eine Herausforderung. Doch in der Not entstehen auch neue Konzepte, neue Möglichkeiten. Ich habe viel mit Freunden gesprochen und wir haben uns gegenseitig emotional und durch Marketing unterstützt. Das hilft.

Würdest du sagen, dass sich der Schwerpunkt phantastischer Neuerscheinungen im letzten halben Jahr, in dem Covid-19 relevanter wurde, im Selfpublisher-Umfeld in diese Richtung verändert hat?

Ich habe nicht das Gefühl, dass die Autoren aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis sich hier von den aktuellen Ereignissen haben treiben lassen.

Wie betrifft dich die Situation selbst als Autor? Hattest du (literarisch) mit Problemen zu kämpfen oder deine Themen neu ausgerichtet?

Ich glaube, die aktuelle Krise ging und geht an niemandem spurlos vorüber. Auch ich hatte meine Tiefpunkte im Verlauf der Covid-19 Krise. Aber gerade das Schreiben hat mich daraus hervorgeholt. Es war die Rückkehr zu vertrauten Figuren, in bekannte Welten. Da ich viele Serien schreibe, hat sich mein Themenschwerpunkt auch nicht verändert.

Website des Autors: https://www.andreassuchanek.de/